Politische Kultur und soziale Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt

Beschreibung

Das Projekt B4 erforscht Prozesse politischer und sozialer Integration in der Stadt der frühen Neuzeit von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur endgültigen Eingliederung der Städte in größere territoriale Zusammenhänge am Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Politik sich als Kommunikationsprozess in der städtischen Bürgergemeinschaft vollzog. BRUm die in der frühneuzeitlichen Stadt laufenden sozialen und institutionellen Differenzierungsprozesse erfassen zu können, wurde das Politische nicht nur in den Verfahren politischer Entscheidungsfindung und ihrer Vermittlung, sondern auch aus der Perspektive der Wirtschaft, der Religion und der identitätsbildenden Diskurse von Chronistik und Memoria beobachtet. Damit verließ das Projekt bewusst die bekannte verfassungsgeschichtliche Perspektive, in der Politik neben Wirtschaft, Religion oder auch Recht als institutionell abgegrenzter und von Einzelpersonen dominierter Handlungs- und Entscheidungsraum verstanden wird. Den historischen Gegebenheiten angemessener hat sich hingegen das Verständnis von Politik als mehrdimensionaler kommunikativer Prozess und damit die Suche nach Typen und Formen sozialer Kommunikation erwiesen, in denen sich Politik als zunehmend dichter integrierter sozialer Handlungszusammenhang, der dann auch zur Organisation fähig ist, nach und nach überhaupt erst konturiert. Die laufenden Tiefenstudien und die Querschnittsstudie lassen tiefgreifende Veränderungen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert erkennen, durch die Politik als Sozialzusammenhang autonomer wurde und sich die Fähigkeit der Bürgergemeinschaft zur Artikulation und zur politischen Bearbeitung von Konflikten und Interessengegensätzen steigerte.BRDem entspricht in der zweiten Antragsphase die thematische Vervollständigung der Tiefenstudien und die inhaltliche und methodische Konzentration der Projektarbeit auf die kommunikativen Komponenten des politischen Prozesses. Die Untersuchung der städtischen Gerichtsbarkeit erlaubt es, im städtischen Rat das Verhältnis von Recht und Macht zu beobachten. Andererseits haben die bisherigen Studien die alltägliche Kommunikation zwischen Bürgerschaft und Rat als Desiderat erkennen lassen. Methodisch konzentriert sich die Forschungsarbeit stärker als in der ersten Phase direkt auf die Funktion von Normen und Symbolen für die kommunikative Formung und Rahmung des politischen Prozesses.BRFür die Städte Esslingen und Dresden wird der Bedeutung der Suppliken für den politischen Prozess der Stadt und ihrem Verhältnis zu anderen Formen der politischen Kommunikation nachgegangen. Suppliken entwickelten sich mit der Entfaltung des schriftlichen Supplikenwesens bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem alltäglichen und massenhaft genutzten Typus politischer Kommunikation zwischen Bevölkerung und Ratsobrigkeit, der von der Forschung bislang nicht systematisch berücksichtigt wurde. In Suppliken ließen sich Problemlagen und Konflikte in der Stadt gegenüber der Obrigkeit artikulieren und diese konnte ihnen wiederum weitreichende Informationen über städtische "Verhältnisse" und "Zustände" entnehmen, die Entscheidungsbedarf signalisieren. Umgekehrt verbanden sich mit ihnen besondere Formen der Entscheidungskommunikation. Die zweite Tiefenstudie befasst sich mit der städtischen Gerichtsbarkeit als einem zwischen Recht und Politik angesiedelten fortlaufenden kommunikativen Prozess der Anpassung und Neubestimmung normativer Ordnung am Beispiel der Städte Stralsund und Schwäbisch Hall. Auch hier ist die zentrale städtische Institution der Rat. Ausgangspunkt ist die für die Frühe Neuzeit nicht selten als "defizitär" angesprochene besondere Ausformung rechtlicher Institutionen und Verfahren sowie der Setzung und Durchsetzung von Rechtsnormen, die bisher nicht in einen systematischen Zusammenhang mit der sozialen und politischen Ordnung der frühneuzeitlichen Stadt gebracht wurde. Die anvisierte Entwicklung einer Typologie politischer Kommunikationsformen in der Stadt soll durch die weitere Arbeit in der Querschnittsstudie vorangetrieben werden.

Institutionen
  • Fach Geschichte
Mittelgeber
Name Finanzierungstyp Kategorie Kennziffer
Deutsche Forschungsgemeinschaft Drittmittel Forschungsförderprogramm 507/00
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Laufzeit: seit 31.12.2005