Religiöses Charisma als Motor und Medium religiöser Kommunikation: Formen seiner symbolischen Repräsentation

Beschreibung

Seit dem 12. Jahrhundert verbreitet sich in Europa ein in vielfältigen literarischen Formen differenziertes religiöses Erbauungsschrifttum (Visionen, Viten, Predigten, Specula humanae salvationis, Artes moriendi usw.), das v.a. die wachsenden religiösen Bedürfnisse breiterer Laienschichten spiegelt und zugleich formt. Es nimmt unterschiedliche Formen an: von mehr oder weniger wortgetreuen Übersetzungen der lateinischen Vorlagen über eine Vielfalt von Kompilationen bis hin zu eigenständigen Werken, die einige bisher nicht geläufige Ausdrucksformen und theologisch neue, z.T. sehr unorthodoxe Inhalte bieten. Dieses Schrifttum wird zu einer der wichtigsten Grundlagen für die Ausformung spätmittelalterlicher Laienspiritualität.BRUnter den Autoren der auf diese Art und Weise entstandenen Erbauungsschriften spielen Laien seit dem 13./14. Jh. eine zunehmend wichtigere Rolle, vor allem Frauen, durch die sich verstärkt volkssprachliche Texte auf einem Feld durchsetzen, das bis dahin weitgehend lateinischem Schrifttum vorbehalten war. Im Zuge der Akzeptanz von Laien, vor allem Frauen als Autoren religiösen Erbauungsschrifttums zeigt sich oft als zentral das Prinzip der persönlichen Berufung auf charismatische Gaben im biblisch-theologischen Sinn: Der Laie kann als Autor einer theologischen Schrift im wesentlichen nur dann auftreten, wenn er imstande ist, auf die eine oder andere Weise seine außerordentliche göttliche Berufung darzutun. Dabei gilt eine charismatische Gabe (Prophetie, Vision, usw.) seit dem späten 12. Jahrhundert bis tief in das 15. Jahrhundert hinein, als das wichtigste Legitimationsprinzip der (vor allem weiblichen) Laienautorschaft einer theologischen bzw. mystischen Schrift oder, allgemeiner, einer religiösen Erbauungsschrift.BRDie Begriffe "Charisma", "Charismatiker", "Charismatische Gaben" werden in der Forschung vor allem im Zusammenhang mit der sogenannten Frauenmystik häufig verwendet. Dies wird - ebenso wie für den damit verbundenen Begriff der "Frauenmystik" selbst - üblicherweise gemäß dem Verständnis des jeweiligen Forschers getan. In der Frage, welche Autorin einer erbauenden oder sogar theologischen Schrift als "Mystikerin" oder "Charismatikerin" oder als beide zusammen zu bezeichnen ist, besteht in der Forschung völlige Uneinigkeit.BRDie Divergenz in der Benutzung der genannten Begriffe beruht auf einer Überschneidung verschiedener Blickwinkel. Entweder konzentriert sich die Forschung auf das Selbstverständnis oder die Selbstdarstellung des jeweiligen Autors, auf das Verständnis, das dessen zeitgenössische Hagiographen von ihren "Helden" formulierten, auf die Wirkung der Persönlichkeit des Autors auf seine unmittelbare Umgebung und auf seine Nachfolgerschaft, sowie auf die Wirkung seiner Schriften im breiteren gesellschaftlichen Kontext. Oder man vereinheitlicht die Vielfalt der relevanten zeitgenössischen Aussagen dadurch, dass man sich auf ein modernes Verständnis des Begriffes ohne weitere Differenzierung bezieht.BRZiel des Projektes ist es, Gestaltung, Formen, Wandlungen und Entwicklung des zeitgenössischen Verständnisses bzw. Selbstverständnisses der Charisma-Träger unter den Laienautoren (vor allem Frauen) religiösen Schrifttums vom 14. bis zum 15. Jh., unter Einschluß ausgewählter Persönlichkeiten des 13. Jh., im europäischen Raum zu erforschen. Dabei soll untersucht werden, wie die Rezipienten die auktoriale Selbstlegitimation durch charismatische Gaben verstanden, wie deren Funktion gedeutet wurde, welche Elemente der symbolischen Repräsentation des Charismas beibehalten und welche ausgelassen oder umgeformt wurden und unter welchen Bedingungen dies geschah. Es soll Licht auf den Inhalt mittelalterlicher Charisma-Konzepte geworfen werden, d.h. wie das hohe und v.a. das späte Mittelalter mit dem paulinischen Charisma-Konzept umging, welche seiner Elemente es weiterverwendete und welche eigene Konzepte neu hinzugefügt wurden. In einem zweiten Schritt soll die Frage behandelt werden, wie weit die Träger der charismatischen Gaben als "Führer" gedeutet wurden. Hier liegt dem Projekt die Definition Max Webers zu Grunde (Charisma soll eine als außeralltäglich ... geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als "Führer" gewertet wird.), d.h. die Demonstration charismatischer Gaben im biblisch-theologischen Sinne kann bei ihren Trägern zum Erlangen eines Charismas im Weberschen Sinne führen. Es soll untersucht werden, ob und unter welchen Bedingungen dies geschah.BRDas vorgestellte Projekt trägt zur Erforschung der im Dachprojekt entworfenen Konzepte bei, die wiederum eine Leitlinie für das Verständnis der zentralen Begriffe und der Dynamik der beobachteten Prozesse darstellen. Die Konzepte und Fragen nach der symbolischen Repräsentation, Dynamik der Symbole, sozialer Integration oder Desintegration bilden die Ecksteine des vorgestellten Projekts: Es sollen die symbolisch repräsentierten Formen sozialer Integration am Beispiel der religiösen Laienbewegung des Hoch- und Spätmittelalters untersucht werden; die Untersuchung wird diachron angelegt, damit die Dynamik der symbolischen Formen in den Vordergrund treten kann. Diese Dynamik soll im medialen Bereich vor allem auf dem Spannungsfeld des Sprachwechsels zwischen Latein und der jeweiligen Volkssprachen herausgearbeitet werden.

Institutionen
  • Fach Geschichte
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Laufzeit: 01.01.2003 – 31.12.2009