Eine Untersuchung des antiken jüdischen Rechts am Beispiel der Preisübervorteilung - Recht als Phänomen gesellschaftlicher Integration und Desintergration in der Antike

Beschreibung

Mit der Eroberung des Nahen Ostens begegneten die römischen Herrscher nicht nur fremden Völkern und Kulturen, sondern sie wurden darüber hinaus mit deren Handels- und Vertragspraktiken konfrontiert. Ein bestimmender Teil der jüdischen Identität der römischen Provinz Palästina (ab 63 v. Chr.) war ihr auf göttlichen Quellen fußendes Zivilrechtssystem in Thora und Talmud, welches in Komplexität und Systematik dem römischen Recht jener Zeit kaum nachstand. Anders als beim römischen Recht, war die Befolgung des bürgerlichen jüdischen Rechts Teil der religiösen Pflichtenausübung der Juden, welches den jüdischen Händlern und Käufern solch moralisch hochstehende Verbote wie das der Übervorteilung über einem Sechstel auferlegte, sog. אונאה (ona’ah). Umso schwerer wiegte der Erlass des römischen Besatzers nach den beiden kriegerischen jüdischen Aufständen im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr., rabbinische Gerichte zu unterbinden. Für die Juden stand fortan der Rechtsweg nur vor römischen Gerichten offen. Das klassische römische Recht sah hingegen keinen zivil- oder strafrechtlichen Ausgleich für eine Preisübervorteilung beim Kaufe vor. Dies sollte sich erst im 3. Jahrhundert n. Chr. ändern, als Kaiser Diokletian ein Reskript (C.4.44.2) erlies, welches den Verkauf eines Grundstücks, bei dem der Verkäufer nicht einmal die Hälfte des Wertes (nec dimidia pars) erhielt, untersagte.

Weniger konfliktreich gestalteten sich hingegen die zeitgleichen Beziehungen der jüdischen Gemeinde in Babylonien zu den Herrschern des persischen Reichs. Das dortige Zusammenleben war überwiegend von gegenseitiger Anerkennung und Respekt geprägt. Die babylonischen Juden konnten über viele Jahrhunderte hinweg ihre Religionsfreiheit nahezu ungestört ausleben, was zu einer ungleich größeren Fortentwicklung der jüdischen Rechtsschulen und Rechtsregeln führte. So nahmen auch die Regeln der Preisübervorteilung neue und differenziertere Formen als in Palästina an.

Diese Aspekte des jüdischen Rechts in seinem Austausch mit dem römischen Recht fanden in der bisherigen Forschung nur geringe Aufmerksamkeit. Speziell das Institut der אונאה (ona’ah) als älteste bekannte Quelle des Übervorteilungsverbots wurde in der Vergangenheit kaum untersucht. Seine interkulturellen Bezüge blieben ebenfalls fast unerwähnt.

Ziel der Untersuchung des jüdischen Rechts anhand der Quellen von Thora, Mischna, palästinischem und babylonischen Talmud stellt die rechtshistorische Rekonstruktion und dogmatische Analyse der אונאה (ona’ah) dar. Insbesondere die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur römisch-rechtlichen laesio enormis sollen zur Klärung der Frage von Rechtsassimilation und Rezeption von Rechtsideen zwischen Herrscher und Beherrschtem, von Römern und Juden, zu dieser Zeit beitragen. Für das römische Recht werden die Reskripte C. 4.44.2 und 8 und das Höchstpreisedikt des Kaisers Diokletians sowie das Corpus Juris Civilis in die Untersuchung miteinbezogen. Der Vergleich der unterschiedlichen sozialen Ordnungsmuster in Palästina und Babylonien soll weiter zeigen, dass das Recht auch eine integrative und ausgleichende Funktion erfüllen kann.

Institutionen
  • AG Armgardt (Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte)
  • Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung (ZKF)
Weitere Informationen
Laufzeit: 01.08.2011 – 31.10.2012