Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund

Beschreibung

Seit Jahrzehnten wird die Haftung einer Konzernmutter für schuldrechtlich begründete Verbindlichkeiten ihrer Tochtergesellschaft intensiv erörtert. Noch kaum diskutiert ist hingegen die Frage, inwiefern die Obergesellschaft auch im Sanktionsrecht für ein Fehlverhalten ihrer Tochtergesellschaft einzustehen hat. Denn auch im Sanktionsrecht kann für die Konzernmutter ein Anreiz bestehen, ein möglicherweise ordnungswidrigkeitenrechtlich relevantes Verhalten, etwa einen Verstoß gegen das Kartell-, Kapitalmarkt- oder Umweltrecht, auf eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft auszulagern, um eine eigene Sanktionierung zu vermeiden. In den letzten drei Jahren hat die Problematik des Sanktionsdurchgriffs im Bereich des Kartellrechts stärkere Beachtung gefunden, nachdem der Gesetzgeber die Bemessung der Bußgeldobergrenze nicht mehr am Mehrerlös des kartellrechtswidrig handelnden Unternehmens, sondern an seinem Umsatz orientiert (§ 81 Abs. 4 GWB). Diese Umstellung hat die Brisanz des Themas ganz deutlich gemacht, denn es ist ein erheblicher Unterschied, ob die 10%ige Bußgeldobergrenze am Umsatz einer kleinen Tochtergesellschaft mit einem Stammkapital von vielleicht 25.000 Euro bemessen wird oder am Ergebnis des Gesamtkonzerns, das bei einem international tätigen Großkonzern in mehrstelliger Milliardenhöhe liegen kann. Darüber hinaus hat das Thema des Sanktionsdurchgriffs eine besondere Aktualität durch die am 16. Februar 2009 ergangene Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamtes gegen den Tondachziegelhersteller Etex erhalten. In dieser Entscheidung wurde das erste Mal auf nationaler Ebene ein Bußgeld gegen die Muttergesellschaft eines Kartellsünders erlassen und zur Begründung angeführt, dass auch Konzerne Kartellabsprachen ihrer Untereinheiten konsequent bekämpfen müssten. Das Projekt untersucht auf einer sicheren empirischen Grundlage unter zivil- und strafrechtlichen Gesichtspunkten, wie die Rechtsordnung auf derartige Vorgehensweisen reagiert. Überdies wird der Frage nachgegangen, wie die Konzernobergesellschaften den daraus resultierenden erheblichen Haftungsrisiken entgegenwirken können. Das deutsche Gesellschaftsrecht geht von dem Normalfall der rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Einzelgesellschaft aus. Im Kapitalgesellschaftsrecht ist dieser gesetzliche Regelfall aber mittlerweile der rechtstatsächliche Ausnahmefall. Rund drei Viertel aller Aktiengesellschaften und etwa die Hälfte aller Gesellschaften mbH sind in Konzerne eingebunden. Eines der wichtigsten Motive für die Konzernbildung ist dabei die Möglichkeit der Haftungsabschottung. Eine Gesellschaft kann riskante Geschäftsfelder auf eine Tochtergesellschaft übertragen, die sodann ausschließlich für die aus diesen Geschäften resultierenden Verbindlichkeiten haftet. Zu einem zivilrechtlichen Haftungsdurchgriff auf die Konzernobergesellschaft kommt es nur in seltenen Ausnahmefällen, über deren schärfere Konturierung in Rechtsprechung und Schrifttum seit Jahrzehnten gerungen wird. Für die Konzernobergesellschaft kann es aber nicht nur im zivilrechtlichen Bereich, sondern auch mit Blick auf sanktionsrechtliche Konsequenzen reizvoll sein, etwaige Haftungsrisiken auf eine Tochtergesellschaft zu kanalisieren. Je engmaschiger das Netz verwaltungsrechtlicher Verbotsvorschriften geknüpft wird und je näher damit das Risiko ordnungsrechtlicher Sanktionen rückt, desto größer wird der Anreiz der Muttergesellschaft, sich der persönlichen Verantwortlichkeit zu entziehen. Die Möglichkeit der Haftungsabschottung entspricht grundsätzlich den allgemeinen Prinzipien des Kapitalgesellschaftsrechts. Speziell im Sanktionsrecht erweist sie sich rechtspolitisch aber als problematisch, da anders als im Zivilrecht kein zum Selbstschutz fähiger Vertragspartner zwischengeschaltet ist, der auf eine unzureichende Haftungsmasse reagieren kann, indem er sich dem Vertragsschluss verweigert. Der Konzernobergesellschaft trotzdem auch im Sanktionsrecht das Privileg der Haftungsabschottung zukommen zu lassen, erscheint insbesondere dort unbefriedigend, wo die Tochter faktisch derart in den Unternehmensverbund einbezogen ist, dass sie von der Konzernobergesellschaft unmittelbar zur Umsetzung einer Gesamtkonzernstrategie eingesetzt wird. Hier droht die Gefahr, dass die Konzernobergesellschaft sämtliche Chancen einer gefährlichen Tätigkeit für sich nutzt, die Risiken aber auf eine Tochtergesellschaft abwälzt. Wenngleich vor dem Hintergrund derartiger Szenarien die großzügige Gestattung eines Sanktionsdurchgriffs nahe liegen mag, so dürfen auf der anderen Seite nicht die weitreichenden Konsequenzen aus dem Blick verloren werden, die sich daraus innerhalb der deutschen Konzernlandschaft ergeben würden. Je enger das Verantwortlichkeitskorsett der Konzernobergesellschaft geschnürt wird, desto intensiver muss sie die Kontrolle ihrer Tochtergesellschaften ausgestalten. Die Frage des Sanktionsdurchgriffs hat damit entscheidende Auswirkungen auf die gesamte Konzernierungspraxis in Deutschland. Sie entscheidet darüber, ob es künftig überhaupt noch möglich sein wird, einen Konzern dezentral zu leiten oder ob nicht das Sanktionsrisiko die Konzernspitze dazu zwingt, sich um eine aktive Konzernleitung zu bemühen. Angesichts dieser tiefgreifenden praktischen Konsequenzen verspricht eine nähere Untersuchung des Sanktionsdurchgriffs Erkenntnisgewinne zu zeitigen, die nicht nur dogmatisch von höchstem Interesse sind, sondern auch unmittelbar für die Unternehmenspraxis nutzbar gemacht werden können.

Teilnehmer
Institutionen
  • FB Rechtswissenschaft
  • AG Theile (Strafrecht mit Nebengebieten)
Mittelgeber
Name Finanzierungstyp Kategorie Kennziffer
Sachbeihilfe/Normalverfahren Drittmittel Forschungsförderprogramm 660/10
Weitere Informationen
Laufzeit: 01.11.2010 – 31.10.2012